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Claudia Kunz-Inderkummen, Uster

Portrait einer herausragenden Sportler-Persönlichkeit

Blinden- und Sehbehinderten-Schiesssport

 

08. Oktober 2020

 

alle Angaben ohne Gewähr

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Stellen sie sich vor, sie haben auf dem besseren Auge noch drei Prozent Seh-Vermögen, trotzdem wollen sie ausgerechnet im Schiesssport national und international erfolgreich sein.

 

Heinz Reichle

 

Dass dies möglich ist und was es dazu braucht, möchten wir am Beispiel von Claudia Kunz-Inderkummen aus Uster aufzeigen.

 

 

Vorgeschichte

 

Claudia ist Hausfrau mit eigenem Haushalt und Mutter eines Sohnes. Sie musste in ihrem privaten Leben schon manchen Rückschlag verkraften. So kann sie beispielsweise aufgrund ihrer Sehbehinderung nicht mehr in ihrem erlernten Beruf «Maître d’hôtel» arbeiten und sie musste aus demselben Grund auch ihren früheren Sport, das aktive Fussballspielen und ihr Amt als Nachwuchstrainerin mit Diplom C des SFV, an den berühmten Nagel hängen. Die Powerfrau gab jedoch nicht auf und suchte sich eine neue Herausforderung!

 

Ihre Neugier, ihre grundsätzlich positive Lebenshaltung und ihre Kontaktfreudigkeit haben sie im Sommer 2012 durch einen Zufall zum Blinden-Schiesssport gebracht. Ein für sie komplett neues sportliches Umfeld!

 

Bei diesem «Schnuppertraining» wurde ihr Talent entdeckt und sie konnte dazu motiviert werden weitere Trainings zu besuchen. Bereits im Herbst 2012 hat sie sich dazu entschlossen die neue Herausforderung definitiv anzunehmen und den Schiesssport aktiv auszuüben.

 

Dank dem eisernen Willen in ihrer neuen Sportart weiter zu kommen und dank den bereits am Anfang schon grossen Fortschritten war schon bald die Teilnahme an der 10m-Schweizermeisterschaft 2013 ihr erklärtes Ziel. Ihr grosser Einsatz wurde mit Silber belohnt! Weitere grosse Fortschritte und der erneute Gewinn der Silbermedaille an der SM 2014 motivierten uns Claudia zur Europameisterschaft im Herbst 2014 anzumelden. Die Finalqualifikation in Polen als bestklassierte Schweizerin (Rang 2 im Vorprogramm und Rang 5 im Final) war unerwartet, aber für Claudia ein Signal nun erst recht durchzustarten!

 

 

Wunsch nach professionellem Training

 

Nach der Rückkehr aus Polen hatte sich Claudia zum Ziel gesetzt international an den Finals nicht nur qualifiziert zu sein, sondern sie wollte auch vorne mitmischen. Sie wollte internationale Medaillen gewinnen!

 

Nachdem wir in gemeinsamen Gesprächen die neue Zielsetzung als realistisch beurteilt haben, mussten wir das zukünftige Training planen und organisieren. Glücklicherweise konnte sowohl Claudia als auch ihr Trainer die notwendige Zeit freistellen, um den gewünschten Trainingsumfang zu gewährleisten. Die Finanzierung war zu diesem Punkt noch nicht gewährleistet. Claudia meinte damals: «das kriegen wir auch noch irgendwie geregelt»!

 

Das Training wurde im Oktober 2014 von ein bis zwei wöchentlichen Trainingseinheiten auf regelmässige vier Trainingseinheiten pro Woche ausgebaut. Das bedingte auch eine Verlegung der Schiess-Trainings von Urdorf nach Küsnacht, wo wir ohne finanzielle Belastungen trainieren können.

 

Die neue Zielsetzung verlangte aber auch nach weiteren neuen Trainingsmassnahmen. Der Trainingsumfang wurde kontinuierlich erweitert. Krafttraining, Kraft-Ausdauertraining, Mentaltraining, sowie Massagen und bei Bedarf auch Physio fanden Einzug in die Wochenplanung.

 

Claudia’s Trainingsumfang während einer normalen Trainingswoche, ohne Vorbereitung auf einen bestimmten Wettkampf, umfasst seit ca. drei Jahren zwischen 30 und 32 Stunden!

 

Das verteilt sich auf ca. 50% Schiesstraining (60% stehend / 40% liegend im Schützenhaus Küsnacht), 25% Mentaltraining (Hauptthema: Visualisierung von Abläufen und Situationen), 10% Kraft (im SKEMA-Body-Gym Uster), 10% Kraft-Ausdauer (Streckenschwimmen, -tauchen im Hallenbad Uster) und ca. 5% Massage (bei Cédric Vuaillat Uster). Ausserdem sind in einer normalen Woche ca. 2,5 Tage Erholung (nach dem Motto: einfach mal nichts tun, ausspannen und Freundschaften pflegen) fix eingeplant!

 

Zur Auflockerung und Ergänzung des Trainings-Betriebes experimentieren wir zurzeit, in Zusammenarbeit mit SKEMA Uster, in einer für Schützen nicht alltäglichen Trainingsform - dem Selbstverteidigungstraining. Ziel ist die verbessere Kontrolle und Koordination des gesamten Körpers, was sich zusammen mit der richtigen Atemtechnik positiv auf die Balance von Körper, Geist und Emotion auswirkt. Ausserdem wirkt sich das Training positiv auf die Selbstsicherheit aus.

 

 

Besondere Herausforderung

 

Da Claudia weder ihre Scheibe noch das Ablagestativ mit Munitionsbox sehen kann, stellt im Schiesstraining die gefühlsbetonte Arbeit eine besondere Herausforderung dar. Das heisst: alle Bewegungsabläufe müssen tausendfach und in allerhöchster Präzision wiederholt werden. Allein diese Tatsache fordert von Claudia bei jedem Schuss 100%ige Konzentration und Körperkontrolle. Sie muss beispielsweise fühlen, ob das Gewehr richtig im Anschlag sitzt, ob der Weg vom Stativ zum Scheibenzentrum millimetergenau, entspannt und richtig absolviert wird, oder ob irgendwo eine Muskelgruppe verspannt und somit zum Spielverderber wird.

 

 

Wie ist das möglich?

 

Damit Claudia diesen Trainingsumfang bewältigen kann, sind viele verschiedene Faktoren notwendig:

 

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Sie als Athletin muss die Bereitschaft haben sich täglich mit ihrem Sport vertieft auseinander zu setzen.

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Sie WILL ihre definierten Ziele erreichen und ist bereit viel dafür zu tun und gleichzeitig auf vieles zu verzichten.

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Ihr direktes privates Umfeld unterstützt sie in ihren Vorhaben

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Sie wird von PluSport (Behindertensport Schweiz) soweit möglich unterstützt (finanziell und organisatorisch bei Auslandwettkämpfen, bei den Leistungstests und bei den sportmedizinischen Kontrollen)

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Das Trainingsumfeld muss stimmen (Infrastruktur, Trainer, Verein, etc)

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Es braucht Wettkämpfe, bei denen sie sich im In- und Ausland messen kann (SM des SSV, KMM des ZHSV, EM, WM, Weltcup’s, Fernwettkämpfe, etc)

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Es braucht auch Erfolgserlebnisse, die zur Weiterarbeit motivieren!

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Es braucht die Wertschätzung im erweiterten Bekanntenkreis und in der Öffentlichkeit. Als Beispiel gilt der überraschende Empfang am Flughafen Kloten nach der Rückkehr von der WM 2019 in Australien. Nach den nicht nach Wunsch geglückten Wettkämpfen war dies ein riesiger Motivationsschub und half in den nachfolgenden Wochen positiv über die Runden zu kommen!

 

 

Früchte der Arbeit:

 

Claudia ist aktuell Halterin aller Schweizerrekorde.

Ausserdem ist sie mittlerweile 10-fache Schweizermeisterin (2015-2020 stehend, 2017-2020 liegend).

 

Anlässlich der Weltmeisterschaft 2016 durfte sie in der Stehend-Position der Frauen-Kategorie die Bronze-Medaille entgegennehmen. Dasselbe gelang ihr auch im Dreistellungsmatch (damals noch lg/st/kn und ohne 1/10) mit einem Schweizerrekord von 596 Punkten (200/197/199). Leider wird diese Disziplin seit 2018 nicht mehr ausgetragen.

 

Anlässlich des Weltcup 2018 in Frankreich erreichte Claudia die Ränge fünf stehend und sieben liegend. Dies zum erstem mal in der neuen Mixt-Kategorie (Männer und Frauen zusammen).

 

Am Weltcup 2019 in Kroatien konnte sich Claudia in der Mixt Stehend-Konkurrenz den vierten Platz sichern!

 

 

Das Corona-Jahr 2020

 

Seit der 10m-Schweizermeisterschaft fanden keine internationalen Wettkämpfe mehr statt. Dies hat die Trainingsgestaltung deutlich erschwert, denn ohne klare und terminierte Ziele ist es schwierig die Trainings-Motivation immer auf dem notwendigen Niveau zu halten.

 

Daher haben wir, zur Überbrückung dieser Zeit, nach möglichen Wettkampfformen gesucht und in der Form von internationalen Fern-Wettkämpfen gefunden. Das heisst: alle Teilnehmenden schiessen unter Aufsicht, zum vorgegebenen Zeitpunkt (vier Runden innerhalb von 4 Monaten), ein Wettkampfprogramm im eigenen Schiessstand, egal wo sie sich auf der Welt befinden. Die Ergebnisse werden dann an eine zentrale Stelle geschickt, wo auch die Rangliste erstellt und veröffentlicht wird.

 

Claudia konnte anlässlich dieses internationalen Kräftemessens den aktuellen Weltrekord «liegend» und den Schweizerrekord «stehend» übertreffen. Innerhalb eines besonderen Belastungstrainings (mit einer Leistungsvorgabe am bisherigen Leistungsmaximum) konnte sie auch den Final-Weltrekord «liegend» übertreffen. Leider können diese Top-Ergebnisse, aufgrund der speziellen Wettkampfform, nicht homologiert werden. Aber: zu Wissen, dass es möglich ist gibt viel Selbstvertrauen für kommende Aufgaben.

 

 

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 Weiterführende Informationen:

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BSS - Blinden- und Sehbehinderten Schiesssport

PluSport - Behindertensport Schweiz

 

 

 

Ziel-System VIASS mit Accu

Ziel-mit-Sensor

 

 

«GEHT NICHT – GIBT’S NICHT»

 

 

«UMFALLEN IST ERLAUBT – ABER DANN SOFORT WIEDER AUFSTEHEN»

 

 Stehend-Stellung

 

 

«ERFOLG HABEN BEDEUTET – HART AN SICH ARBEITEN»

 

 

«AUS NIX WIRD NIX»

 

 Liegend-Stellung

 

 

 
«KÜMMERE DICH NICHT UM DINGE, DIE DU NICHT BEEINFLUSSEN KANNST»

 

 WM 2019, Sidney - Eröffnung

 

 WM 2019, Sidney - Empfang in Kloten

 

 WM 2019, Sidney

 Rückreise mit Zwischenstopp in London

 zusammen mit ihrem Trainer Heinz Reichle

 


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